Das unfassbare Versagen der Grünen
Der Dannenröder Wald wird seit nun fast drei Wochen geräumt und gerodet, nachdem der im Herrenwald und im Maulbacher Wald geplante Trassenverlauf der A49 bereits in den Wochen davor komplett dem Kahlschlag zum Opfer fiel. Täglich erreichen uns seitdem Berichte von extremer Polizeigewalt im Zuge der Räumung, die uns und vielen anderen sehr große Sorge bereiten. Es kam bereits zu mehreren schweren Verletzungen infolge von Stürzen und Schlägen durch die Einsatzkräfte. Mehrere Aktivist*innen im Danni stürzten einige Meter in die Tiefe, weil die Polizei Seile durchschnitt oder weil Bäume gefällt wurden und auf Traversen (Seilverbindungen zwischen Bäumen) krachten, in denen sich Menschen befanden. Die Füße von dreibeinigen Konstruktionen in denen sich Menschen befanden, so genannten Tripods, wurden einfach der Reihe nach abgesägt. So wurden weitere mögliche Abstürze in Kauf genommen. Aktivist*innen wurden bewusstlos geschlagen. Selbst eine kirchliche Beobachterin wurde durch prügelnde Polizeikräfte verletzt. Pressevertreter*innen und Fotojournalist*innen berichten immer wieder davon, dass sie nicht durchgelassen oder teilweise selbst repressiv behandelt werden.
Viele Menschen vor Ort berichten uns von äußerst brutalen SEK-Einsätzen, selbst Elektroschockpistolen, so genannte Taser, wurden für eine Räumung in über 20 Metern Höhe eingesetzt - um zwei sich umarmende Menschen voneinander zu trennen. Der Einsatz von Tasern ist ohnehin mehr als umstritten, da er zu starken Schmerzen und schweren Verletzungen führen kann und in der Vergangenheit in Hessen bereits zwei Todesopfer forderte. In so luftiger Höhe sollten sie ganz sicher nicht zum Einsatz kommen, erst recht nicht, wenn die Polizei immer wieder betont, bei der Räumung im Danni gehe „Sicherheit vor Schnelligkeit“.
Waldbesetzer*innen berichten vom Einsatz von Schmerzgriffen, von Hähme, Beleidigungen und Morddrohungen durch die Polizei, von körperlichen Übergriffen durch Polizeibeamte, von stundenlangen Schmerzensschreien befreundeter Aktivist*innen, die sich selbst angekettet hatten und in ihrem "Lock-On" von der Polizei malträtiert wurden, von brutaler Behandlung in so genannten Gefangenensammelstellen. Menschen, die sich nicht auf den Bäumen aufhalten, werden von der Polizei regelrecht durch den Wald gejagt und unkalkulierbar geschlagen. Die Aktivist*innen fühlen sich auf dem Boden nicht mehr sicher. Das alles sind ohne Zweifel schwere traumatischer Erfahrungen für die Aktivist*innen, aber auch ihre Freund*innen, Angehörigen, und Menschen, die dies mit ansehen müssen.
Diese unfassbare Gewalt und Härte der Einsatzkräfte haben mittlerweile sogar dazu geführt, dass Baumbesetzer*innen aus Angst um ihr Leben Baupläne veröffentlicht haben, um ein weiteres rücksichtsloses und ignorantes Vorgehen der Einsatzkräfte zu verhindern. Die Sorge um das Leben und die Unversehrtheit der Aktivist*innen im Danni ist so groß, dass sich eine Gruppe namens „Danni-Eltern“ gegründet hat. Es sind Eltern der jungen Menschen, die friedlichen Widerstand gegen die Zerstörung des Danni leisten. In einer Pressekonferenz am Samstag kritisierten die „Danni-Eltern“ die Übermacht an Polizei und staatlicher Repression und dass diese zum Handlanger fehlgeleiteter und rückwärtsgewandter Politik werde. All diese traumatischen und gewaltvollen Erfahrungen wecken schmerzliche Erinnerungen an den Tod des Journalisten Steffen Meyn im Hambacher Wald im Jahr 2018. Keine Autobahn der Welt ist es wert, dafür Menschenleben so aufs Spiel zu setzen!
Dass gerade die hessischen Grünen diesen überzogenen und menschengefährdenden Polizeieinsatz immer wieder in Schutz nehmen, macht uns sprachlos. Sie sind es schließlich, die in den letzten Wochen immer wieder betont hatten, es ginge um die Einhaltung demokratischer Beschlüsse im Zuge des A49-Ausbaus. Rechtsstaat und Demokratie seien zu respektieren. Wer das fordert, übersieht zentrale Punkte:
1. Der Ausbau der A49 ist eben nicht rechtlich einwandfrei
Im Juni hatte das Oberverwaltungsgericht Leipzig eine Klage des BUND gegen den Ausbau der A49 abgewiesen. Der BUND Hessen hat die schriftliche Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts vor Kurzem ausgewertet und kam zu dem Schluss, dass der Hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir Handlungsspielräume für einen Rodungsstopp im Dannenröder Wald hat. Das Gericht hat ausdrücklich Verstöße gegen nationales und europäisches Wasserrecht im Planfeststellungsbeschluss erkannt. Trotzdem hatte das Gericht die Klage abgewiesen. Der BUND Hessen sei nicht befugt, die damals versäumte Prüfung der wasserrechtlichen Vorgaben nachträglich einzufordern. Das von den Grünen geführte hessische Verkehrsministerium hingegen hätte diese rechtliche Möglichkeit – warum nutzt es diese nicht, wenn die Grünen Hessen immer wieder öffentlich beteuern, den Ausbau selbst nicht zu wollen? Würde beim Ausbau der A49 wirklich nach demokratischen und rechtsstaatlichen Regeln gespielt werden, müsste der Planfeststellungsbeschluss wegen der Versäumnisse beim Wasserrecht neu aufgerollt werden.
2. Die Planung wurde ohne das heutige Wissen über die Klimakrise gemacht
Die Planungen für die A49 sind bereits über 40 Jahre alt. Ist es wirklich einer Demokratie würdig, an derart alten Plänen festzuhalten, wenn heute sehr viele wissenschaftliche, politische und zivilgesellschaftliche Akteure die Gefahren der Klimakrise erkannt haben und wesentlich mehr Informationen zu den drastischen Auswirkungen und Kipppunkten der Klimakrise vorliegen? Oftmals wird hier das Argument angeführt, es gebe Verträge für den Ausbau, die nun mal bindend seien. Doch auch das Pariser Klimaabkommen von 2015 ist ein bindender internationaler Vertrag. Im Jahr 2020 einen Wald zu roden um eine Autobahn auszubauen, während die Emissionen im Verkehrssektor steigen statt zu sinken, kann nicht damit vereinbar sein. Warum wird also ein Vertrag auf lokaler Ebene als wichtiger eingeschätzt als ein internationales Abkommen, das 195 Staaten unterzeichnet haben? Gerade wenn die Grünen das 1,5-Grad-Ziel, das sie erst kürzlich als festen Bestandteil ihres Grundsatzprogramms aufgenommen haben, ernst nehmen würden, müssten sie alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, den A49-Ausbau zu stoppen – andernfalls sind solche Ziele nichts als leere Worte.
3. Menschenrechte und Rechtsstaat werden mit Füßen getreten
Wer immer wieder von Rechtsstaat und Demokratie redet, sollte die eigenen Regeln auch dringend selbst einhalten. Im Jahr 2020 haben wir es mit einer globalen Pandemie zu tun, in der von der Bundesregierung weitreichende Einschränkungen für Wirtschaft und Zivilgesellschaft durchgesetzt wurden. Wie kann es in einem Rechtsstaat sein, dass gleichzeitig mehrere tausend Polizist*innen für einen Großeinsatz im Dannenröder Wald eingesetzt sind und der Mindestabstand, der in der Pandemie geboten ist, nicht einmal ansatzweise eingehalten werden kann? Und wenn Rechtsstaat und Demokratie zu respektieren seien – warum wird dann die körperliche Unversehrtheit der Aktivist*innen in und um den Dannenröder Wald immer und immer wieder mit Füßen getreten? Es gibt ein Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit – in Deutschland wird die Wichtigkeit dieser Grundrechte gerade auch während dieser Pandemie immer wieder betont.
Liebe Grüne: Selbst wenn euch der Wald egal ist, wenn ihr nicht mal eine halbherzige Verkehrswende umsetzen wollt, wenn ihr das 1,5 Grad Ziel nur auf dem Papier, aber nicht in der Praxis umsetzen wollt, dann macht euch das als Grüne zwar mehr als unglaubwürdig und ihr habt beschlossen die Augen davor zu verschließen, um eure Macht zu sichern. Aber wenn euch eines wach rütteln sollte, dann die Gefährdung von Menschenleben und eine zunehmende gewaltvolle Eskalation des Konflikts seitens der Polizei! Das ist eines Rechtsstaates nicht würdig, und wir fragen uns, wie ihr es euren Wähler*innen, aber auch euren Kindern und Enkeln erklären werdet, dass im Zuge der brutalen Räumung des Dannenröder Walds für den Ausbau einer Autobahn mitten in der Klimakrise mutige Waldschützer*innen gefoltert, verletzt und traumatisiert wurden. Wir können nur hoffen, dass ihr wenigstens in Bezug auf Letzteres zur Vernunft kommt und den lebensgefährlichen Polizeieinsatz endlich stoppt, bevor dieser Menschenleben fordert. Denn um es mit Tarek Al-Wazir‘s eigenen Worten zu sagen: auch für den Ausbau einer Autobahn gibt es „keine Lizenz, Leben und Gesundheit von anderen aufs Spiel zu setzen“.