Logbuch #7: Mit Kreide bei den Wölfen
Den Sonntag haben wir in Wolfsburg verbracht, am Infostand, auf Stadterkundung oder auf dem Campingplatz zum Aufladen von Akkus – unseren persönlichen Kapazitäten sowie denen des Floßmotors.
Am Infostand führten wir einige interessante Gespräche, luden Menschen auf unser Floß ein und wurden beispielsweise von einer supercoolen Fahrradrikscha besucht. Insgesamt war das Besucher*innenaufkommen aber eher überschaubar. Der mitunter starke Wind bot seine Hilfe beim Flyer-Verteilen an, sodass wir durch gelegentliches, dem fortgewehten Papier Hinterherflitzen dennoch genug zu tun hatten. Ebenso boten der Weg entlang des Mittellandkanals und der Bahnhofsvorplatz fantastische Gelegenheiten, auf unser Anliegen und das Floß per Kreide aufmerksam zu machen.
Die komplexen Zusammenhänge von Entwaldung, Sojafuttermittelimporten, Tierproduktion und Fleischkonsum in einem Satz zusammenzufassen und beim Verteilen der Flyer zu vermitteln, erwies sich auch als herausfordernd. Nach einigen Stunden hatten wir aber eine gewisse Übung.
Beeindruckt von all den über die Stadt verteilten VW-Gebäuden und der zugehörigen Infrastruktur, insbesondere dem be-schornsteinten Gebäude direkt gegenüber unseres Infostandes, recherchierten wir nebenbei einige Hintergründe zu der Stadt, in der wir angelegt hatten.
Es stellte sich heraus, dass besagtes Gebäude, das Alte Heizkraftwerk, als Industriedenkmal geschützt ist. Von der Stellung VWs zeugt auch, dass das Werksgelände in Wolfsburg mit einer Gesamtfläche von 6.5 km2 eines der größten der Welt ist - überholt in jüngerer Vergangenheit nur durch die 2022 errichtete Tesla-Gigafactory in Texas. Mit einer Mitarbeiter*innenzahl von knapp 62 000 Menschen, arbeitet rein rechnerisch die Hälfte der in Wolfsburg ansässigen Personen bei VW (Einwohner*innenzahl von Wolfsburg: etwa 127 000). Tatsächlich spielen Pendler*innenströme (mutmaßlich per Auto, den Parkplatzflächen nach zu urteilen) eine beträchtliche Rolle.
Offenbar ist VW auch einiges daran gelegen, seine Veranstaltungen vor mit der Bahn anreisenden Personen zu schützen, insbesondere mutmaßlich, wenn diese auf den Besitz eines eigenen Autos verzichten. Zumindest verschließt VW den Tunneldurchgang des Hauptbahnhofs zum Mittellandkanal (und damit leider auch zu Floß und Infostand). Da dies zu unvorhersehbaren Uhrzeiten passiert, finden sich selbst die Bahnmitarbeitenden mitunter auf der falschen Seite des Bahnhofs wieder, wie sie uns berichteten.
Mit der Frage, ob Wolfsburg auch aus etwas anderem als VW bestünde, begaben sich einige der Gruppe auf die Suche nach einer Art Stadtzentrum. Immerhin fanden sie eine Eisdiele mit futuristisch anmutenden Eissorten wie Kiwi-Avocado. Wenn die Stadt schon rund um eine vergangenheitsorientierte, die Transformation verschlafende Industrie gebaut ist, sollen wohl immerhin die Eissorten etwas Innovationsgeist verbreiten…
Abends kehrten wir mit dem Floß zu unserem Übernachtungsplatz zurück, das VW-Veranstaltungsgelände passierend, welches uns in großen Buchstaben darüber informierte, dass es sich hier um die AUTOSTADT handele, falls uns dies bislang entgangen sein sollte. Konzertmusik, Rasenmähroboter und schick gekleidete Menschen begutachteten vom Ufer aus unser Floß, während wir vom Floß aus ebenso interessiert wie vielleicht auch befremdet zurückblickten. Im Wasser des Mittellandkanals schwammen die dazwischenliegenden Welten. Und dennoch haben wir in Wolfsburg festgestellt, dass es auch Brücken für Gespräche und Annäherungen gibt, selbst wenn VW die Tunnel verschließt.
Obwohl die Stadt der Unternehmensmacht VWs in Vielem untergeordnet zu sein scheint, gibt es noch so manche kritisch denkenden Menschen und einigen Anlass zu Reflexionen. Vielleicht ist es umso wichtiger, an solchen Orten präsent zu sein.