Mehr Fortschritt wagen: Für eine klimagerechte Mobilitätswende!
Viele Menschen hatten nach 12 Jahren Verkehrsministerium unter CSU-Führung mit der neuen Regierung auf einen Aufbruch bei der Verkehrswende gehofft. Diese Hoffnungen wurden jedoch bereits mit dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition und spätestens mit Bekanntgabe des neuen Verkehrsministers herb enttäuscht: FDP-Generalsekretär Volker Wissing übernimmt das Amt. Vieles deutet daraufhin, dass uns auch im neuen Jahr eine veraltete Verkehrspolitik erwartet, die vor allem auf technologische Scheinlösungen, die teilweise mystische Hoffnung auf Innovationen und „grünes Wachstum“ setzt.
Das Motto des Koalitionsvertrags heißt: „Mehr Fortschritt wagen“ und an diesem Anspruch muss sich die Ampel-Koalition auch messen lassen. Eine Erkenntnis, die für große Teile der Klimabewegung mittlerweile selbstverständlich geworden ist, muss sich allerdings auch in der Gesellschaft und auf der höchsten Politik-Ebene durchsetzen: Fortschritt bedeutet nicht zugleich Wachstum. Auch vermeintlich „grünes“ Wachstum bleibt Wachstum auf einem begrenzten Planeten. Um die CO2-Emissionen zu senken, ist eine Abkehr vom Credo des Wirtschaftswachstums unvermeidlich. Die Lösung für die Mobilitätswende heißt daher nicht mehr Autos, auch wenn diese nun batterieelektrisch angetrieben werden. Statt dem Wachstumscredo muss eine neue Frage mit der Idee des Fortschritts verknüpft werden: Wie schaffen wir es auch in Zukunft allen Menschen innerhalb der planetaren Grenzen ein gutes Leben zu ermöglichen? Es ist wohl höchst unwahrscheinlich, dass das sture Festhalten am motorisierten Individualverkehr, der auf Ausbeutung beruht, natürliche Ressourcen verschlingt, wertvollen öffentlichen Raum frisst und die Gesundheit unzähliger Menschen auf‘s Spiel setzt, dieser Frage standhält. Auch der Fortbestand klimaschädlicher Kurzstreckenflüge ist alles andere als fortschrittlich, also weder mit Ökologie noch mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar.
In kaum einem Politikbereich scheitert der Fortschrittsanspruch der Ampel-Koalition krachender als im Verkehrsbereich. Die Regierung plant keinen Verbrennerausstieg vor 2035 und verweist diesbezüglich auf politische Entscheidungen auf EU-Ebene. Der Fokus wird stattdessen auf die massive Förderung von Elektroautos (inkl. E-Auto-Kaufprämie und Ausbau der Ladeinfrastruktur) gelegt, und es gibt kaum Anreize für eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs. Zwar soll ein neuer Bundesverkehrswege- und mobilitätsplan 2040 erarbeiten werden, aber es fehlt ein klares Bekenntnis für eine klimaverträgliche und zukunftstaugliche Infrastrukturpolitik und ein Moratorium für Straßenbauprojekte, die auf veralteten Planungsgrundlagen basieren und längst nicht mehr klimaverträglich sind. Dies verdeutlicht, wie gefährlich die Idee des grünen Wachstums ist. Es fehlen jegliche Sofortmaßnahmen, um tatsächlich Emissionen unmittelbar, etwa durch Verbote, zu senken. Dennoch finden sich Anreize zum Klimaschutz, und die Regierung kann damit sowohl die nach Wachstum strebende Autoindustrie, als auch einen Teil der Klimaschutz fordernden Bevölkerung vermeintlich zufrieden stellen. Dabei fällt allzu oft unter den Tisch, dass die erwartbaren Effekte zur Minderung des Treibhausgas-Ausstoßes viel zu schwach ausfallen und die Maßnahmen keine grundlegende Mobilitätswende einleiten.
Auch im Bereich Flugverkehr bleibt der Koalitionsvertrag schwammig und ohne Ambitionen. Sehr symptomatisch für die vermeintlich „grüne“ Wachstumslogik der Ampel ist das zentral propagierte Vorhaben, das „CO2-neutrale Fliegen“ technisch voranzubringen und Deutschland in diesem Bereich zum Spitzenreiter zu machen. Dabei handelt es sich um eine klassische klimapolitische Scheinlösung, die zwar auf den ersten Blick viel verspricht, aber im Grunde Augenwischerei ist. Zur Wahrheit gehört, dass die versprochenen technischen Innovationen bezüglich synthetischer Kraftstoffe von einer vollumfänglichen Anwendung erstens noch Jahrzehnte entfernt sind und damit viel zu spät kommen. Zweitens beruht die Idee von CO2-Neutralität auf höchst fragwürdigen Ausgleichsmechanismen, bei denen Emissionen zum Beispiel durch Aufforstungsprojekte kompensiert werden sollen. Studien belegen jedoch, dass eine erdrückende Mehrheit solcher Projekte diesem Anspruch nicht gerecht wird. Auch für den Klimakiller Luftverkehr vermeidet es die Ampelkoalition also wirksame und sofort umsetzbare Maßnahmen zu ergreifen. Ein Ende des Steuerprivilegs für Kerosin oder ein Verbot von Kurzstreckenflügen sind noch immer nicht in Sicht.
Beim Schienenverkehr, beim ÖPNV und beim Radverkehr fällt der Blick in die Zukunft gemischt aus. Im Bahnbereich sind die angekündigten Investitionen in die Schiene und die Priorisierung der Schiene gegenüber der Straße zwar durchaus positive Signale. Die ursprünglich befürchtete Aufsplittung der Deutschen Bahn wird nicht umgesetzt und die Bahn verbleibt zunächst im öffentlichen Eigentum. Die DB-Infrastrukturgesellschaft soll jedoch eine eigene gemeinwohlorientierte Konzernsparte werden, während der Betrieb der Bahnleistungen weiterhin gewinnorientiert organisiert werden soll. Dass öffentliche und private Eisenbahnunternehmen auch in Zukunft miteinander im Wettbewerb stehen sollen, steht dem ebenfalls im Koalitionsvertrag festgelegten Ziel, „Mobilität als zentralen Baustein der Daseinsvorsorge zu verankern“, diametral entgegen. Vor dem Hintergrund mehrfach verfehlter Ziele in der Verkehrspolitik der letzten Jahre, insbesondere beim Bahnausbau, ist jedoch in allen Bereichen die schnelle Umsetzung der Maßnahmen viel entscheidender als reine Absichtserklärungen. Damit hängt viel am politischen Willen des FDP-Verkehrsministers, der sich bereits vor seinem Amtsantritt öffentlichkeitswirksam als „Anwalt der Autofahrer“ präsentierte.
Und so gut die Ausbauziele auch klingen, kommt auch hier eine weitere problematische Dimension des „grünen Wachstums“ zum Vorschein: Bei allem technologischen Optimismus verschwindet insbesondere im Mobilitätsbereich allzu oft der Blick für soziale Gerechtigkeit. Politische Zielsetzungen für sozial gerechte Verkehrskonzepte, zum Beispiel durch vergünstigte bzw. entgeltfreie Ticketkonzepte im ÖPNV, die Förderung von Mobilität ohne eigenes Auto im ländlichen Raum oder die gerechtere Verteilung von öffentlichem Raum zugunsten von Menschen statt (E-)Autos fehlen weitestgehend im Koalitionsvertrag.
Was bedeuten diese enttäuschenden Einsichten nun für die Mobilitätswende und für alle jene, die sich genau wie wir unermüdlich für klimafreundliche und sozial gerechte Mobilität einsetzen? Es wird in den nächsten Jahren unsere Aufgabe sein, der Ampel-Koalition bei ihren Versprechen auf die Finger zu schauen und ihre Politik weiterhin kritisch zu begleiten. Doch wir sind uns im Klaren darüber, dass das nicht ausreicht. Die versprochenen Maßnahmen liegen weit jenseits von dem, was für die Einhaltung der 1,5°C-Grenze und für eine konsequente Mobilitätswende notwendig ist. Wir werden daher auch weiterhin Protest organisieren und einen grundlegenden Wandel des Wirtschafts- und Verkehrssystems einfordern. Immer mehr Menschen beginnen zu verstehen, dass das System Auto der Vergangenheit angehört, dass die Illusion des grünen Wachstums zum Scheitern verurteilt ist und dass eine andere Welt möglich ist. Und mit Blick auf andere Bewegungen kann aus der Enttäuschung über die von der Ampel ausgebremste Mobilitätswende auch Zuversicht werden: Bewegungen können an mächtigen Gegner*innen wachsen. Die Mobilitätswende von unten ist nicht aufzuhalten.
Dieser Artikel erscheint Mitte Februar in voller Länge in unserem nächsten Magazin.