"Nachhaltiger" Kautschuk-Anbau in Sumatra
Ein Vorzeigeprojekt auf einer Fläche von insgesamt 88.000 Hektar
Die Nachfrage nach Naturkautschuk wächst und bedroht – neben dem Ölpalmanbau – Biodiversität und Waldökosysteme in Südostasien. Michelin, weltgrößter Reifenhersteller, sah sich in der Verantwortung und hat 2015 zusammen mit der indonesischen Unternehmensgruppe Barito Pacific die Joint Venture PT Royal Lestari Utama (RLU) gegründet. Es wurde behauptet, RLU würde in Sumatra und Kalimantan Kautschuk anbauen, sozialverträglich und ökologisch nachhaltig, es sollten fair bezahlte Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung geschaffen und die „…von unkontrollierter Abholzung verwüsteten“ Konzessionsflächen sollten wieder aufgeforstet werden. Kurz: ein Vorzeigeprojekt.
Muara Sekalo
Bereits im Januar 2020 wurde der Artikel Deconstructing sustainable rubber production: contesting narratives in rural Sumatra veröffentlicht. Hier zeigt sich: Das Narrativ einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung von Michelin steht in starkem Widerspruch zu Aussagen der lokalen Bevölkerung, die in der Nähe der Plantage lebt. Kleinbäuer*innen aus dem Dorf Muara Sekalo berichten von Abholzung und Umweltzerstörung: PT Lestari Asri Jaya (LAJ), eine Tochterfirma von RLU, habe Wald gerodet, um die Flächen für die Pflanzung von Kautschuk vorzubereiten. Dabei sei der Lebensraum von Elefanten zerstört worden. Das hatte zur Folge, dass sich immer mehr Elefanten dem Dorf näherten und die Felder der Kleinbäuer*innen auf der Suche nach Futter zerstören.
Kaum jemand konnte es sich leisten, das Land mehr als ein, zwei oder gar drei Mal neu zu bepflanzen, viele haben aufgegeben und ihr Land an LAJ abgetreten. Ohnehin fühlten sich die Menschen vor Ort machtlos im Angesicht der Forderungen von LAJ, sie seien unter Druck gesetzt worden, es gab viele Landrechtskonflikte.
COMPLICIT
Heute, am 6. Oktober, hat Mighty Earth eine neue Studie veröffentlicht, COMPLICIT – An investigation into deforestation at Michelin’s Royal Lestari Utama Project in Sumatra, Indonesia. Die Studie basiert auf Satellitenbildanalysen und Interviews mit der lokalen Bevölkerung. Sie zeigt, dass schon zweieinhalb Jahre bevor Michelin und Barito Pacific ihre Zusammenarbeit und das Joint Venture PT Royal Lestari Utama (RLU) bekannt gaben, Tochterfirmen der Unternehmensgruppe Barito Pacific in industriellem Maßstab Wald abgeholzt hatten, um Platz für Kautschukplantagen zu schaffen. Weitere Recherchen, die im Zuge der Studie durchgeführt wurden, legen nahe, dass Michelin von den Rodungen wusste und sie billigend in Kauf genommen hat.
„Das ist ein riesiger Skandal,“ sagt der Alex Wijeratna, Autor der Studie und Kampagnenleiter bei Mighty Earth. „Tausende Hektar einzigartiger, intakter und wildtierreicher Wälder wurden im Vorfeld des RLU-Projekts in Sumatra auf schändliche Weise industriell abgeholzt. Michelin wusste über diese Zerstörung Bescheid, entschied sich aber dafür, sie vor der Öffentlichkeit und vor den Investoren, die seither Millionen von Dollar in das Projekt gesteckt haben, geheim zu halten.“
Bukit Tigapuluh
Der Tieflandregenwald Jambis stellt einen undenkbar wertvollen Lebensraum für gefährdete Arten dar. Insbesondere das Landschaftsökosystem Bukit Tigapuluh, der größte zusammenhängende Tieflandregenwald auf Sumatra, bietet sowohl den Sumatra-Elefanten, Sumatra-Tigern und seit einigen Jahren auch wieder den Sumatra-Orang-Utans eine Heimat. Das Ökosystem ist allerdings nur zur Hälfte durch den Bukit Tigapuluh Nationalpark geschützt.
Die Konzessionen des RLU-Projektes grenzen teilweise direkt an den Nationalpark. Eine sogenannte Wildlife Conservation Area (WCA) wurde eingerichtet, doch auch innerhalb dieser Puffer-Zone wurde Wald gerodet, wie Satellitenbilder nun zeigen.
Michelins Zero Deforestation Policy
Michelin war 2016 der erste Reifenhersteller weltweit, der eine „Zero Deforestation Policy“ veröffentlichte und sich dazu verpflichtete, für die Produktion von Reifen nur Naturkautschuk von solchen Plantagen zu verarbeiten, für deren Pflanzung kein Wald gerodet wurde. So eine Selbstverpflichtung klingt erstmal gut. Bei genauer Betrachtung kann sie aber zu einem vollkommen leeren Versprechen werden: Primärwald darf nicht gerodet werden – Sekundärwald, der nicht explizit unter Schutz steht, aber doch! Dabei scheint unerheblich, dass auch diese Wälder wertvoll sind, Kohlenstoff speichern, Artenvielfalt bewahren, Lebensraum bieten.
Es braucht Standards, die besser sind als die Zero Deforestation Policy von Michelin! Vor allem braucht es Standards, die verbindlich und für alle Unternehmen gelten und nicht nur auf Freiwilligkeit basieren: Letztlich braucht es entwaldungsfreie Lieferketten!