Windkrafträder

Ökostrom ist nicht gleich Ökostrom

10. Januar 2020
Energie
Ronja Heise
ROBIN WOOD-Energiereferentin
Blog

Immer mehr Kund*innen in Deutschland entscheiden sich für ein Ökostromangebot; allein innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Nachfrage versechsfacht. Mittlerweile werden fast 15 Prozent des hierzulande an Haushalte gelieferten Stroms über Ökostromtarife – das heißt über den sogenannten freiwilligen Ökostrommarkt – verkauft. Dem steht eine deutlich gestiegene Zahl von Ökostromangeboten gegenüber. Laut Marktanalyse des Umweltbundesamts konnten sich Kund*innen 2017 zwischen 1.157 Ökostromprodukten von 921 verschiedenen Anbietern entscheiden.

Aber was ist ein Ökostromprodukt überhaupt? Und was bedeutet der Bezug von einem Ökostromtarif für die Energiewende?

Strom ist ein besonderes Produkt. Es lässt sich nicht wie Äpfel auf LKWs laden und über das Straßennetz von A nach B schicken und ist auch nur bedingt lagerfähig. Über das Stromnetz kann der Strom von einem Windkraftwerk an der Küste nicht gezielt zu einem Kunden in NRW geschickt werden. Stattdessen sucht sich Strom immer den kürzesten bzw. widerstandsärmsten Weg.

Das verdeutlicht das viel genutzte Bild vom Stromsee. Alle Stromproduzent*innen speisen in einen "Stromsee", von dem alle Kund*innen abnehmen. „Grüner“ Ökostrom (Sonne-,Wind- und Wasserenergie) und Strom aus Kohle- und Atomenergie werden dabei gleichermaßen in den "Stromsee" eingespeist und vermischen sich zum sog. „Graustrom“. Welcher Strom physisch in welcher Steckdose landet, kann nicht beeinflusst werden. Die Kund*innen können jedoch über die Wahl eines Anbieters bzw. eines Stromprodukts beeinflussen, an welche Produzent*innen ihr Geld fließt.

Um die Einspeisung von Ökostrom transparenter und besser regulierbar zu gestalten, hat die EU das System von Herkunftsnachweisen eingeführt. Für jede in der EU produzierte Kilowattstunde erneuerbaren Stroms entsteht prinzipiell ein Herkunftsnachweis (HKN). Dieser bescheinigt die "grüne" Eigenschaft des Stroms – und kann getrennt von dem physikalisch produzierten Strom gehandelt werden.

Um Strom als Ökostrom bewerben und verkaufen zu dürfen, muss ein Stromanbieter sicherstellen, dass die der Strommenge entsprechende Anzahl HKN entwertet wird. Dazu kann er den Strom und die Herkunftsnachweise zusammen vom gleichen Kraftwerk einkaufen – oder getrennt aus unterschiedlichen Quellen beziehen. Herkunftsnachweise, die von Anlagen stammen, die den Kriterien der Ökostromsiegel entsprechen (z.B. sechs Jahre oder jünger, ohne Verbindung mit der Atomwirtschaft) sind dabei teurer als andere.

Die Möglichkeit, HKN getrennt zu handeln bedeutet, dass Stromanbieter konventionellen Strom mit Hilfe von zusätzlichen Herkunftsnachweisen "grünwaschen" können. Ein Anbieter kann beispielsweise über die Strombörse einen Strommix beziehen, der auch Kohle und Atom enthält ("Graustrom"), die entsprechende Menge HKN dazu kaufen – und den Strom anschließend über ein Ökostromangebot weiter verkaufen. Den wenigsten Kund*innen dieses Tarifes wird bewusst sein, dass ein Teil ihres Geldes auch an Kohle- und Atomunternehmen geht.

In Deutschland dürfen für den durch das EEG geförderten Strom keine HKN ausgestellt werden (das sog. Doppelvermarktungsverbot). Das heißt, dass sich z.B. die Betreiberin einer Windkraftanlage entscheiden muss, ob sie ihren Strom über das EEG vergüten lässt und über die Strombörse verkauft oder für den von ihr produzierten Strom Herkunftszertifikate bekommen und weiter verkaufen will.

Aktuell ist die Vergütung über das EEG in den allermeisten Fällen deutlich wirtschaftlicher für Anlagenbetreiber – so dass nur wenige Betreiber sich dafür entscheiden, auf die Förderung zu verzichten und in der Folge in Deutschland nur eine geringe Menge an HKN ausgestellt werden. Wenn in den kommenden Jahren mehr Anlagen altersbedingt aus der EEG-Förderung ausscheiden, könnte sich die Zahl der in Deutschland ausgestellten HKN etwas erhöhen.

Während in Deutschland europaweit der meiste Strom über Ökostromprodukte verkauft wird, stammen die dafür notwendigen HKN zum aller größten Teil aus dem europäischen Ausland (in 2017 wurden 86 Prozent der HKN importiert – hauptsächlich aus Norwegen, aber auch aus Frankreich, Österreich und Schweden). Auf dem europäischen Strommarkt gibt es einen Überschuss an HKN und sogar eine große Menge Strom, für den noch Nachweise ausgestellt werden können, aktuell aber nicht werden. Die gestiegene Nachfrage nach Ökostrom und damit nach HKN in Deutschland führt also nicht automatisch zum Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa.

Die ernüchternde Erkenntnis: Allein der Bezug von Strom, der durch Herkunftsnachweise gekennzeichnet ist, trägt nicht zur Energiewende auf deutscher oder europäischer Ebene bei.

Trotzdem ist der Bezug von Ökostrom wichtig! Und ein paar wenige Faustregeln machen es auch Menschen, die nicht Strommarkt-Expert*innen sind, möglich, einen Ökostromtarif zu erkennen, der wirklich zur Energiewende beiträgt:

Kein Geld für die fossile und atomare Energiewirtschaft: Der Bezug von Ökostrom sollte nicht zur Finanzierung der Atom-, Kohle und Gasunternehmen beitragen.

Das bedeutet den Bezug von Ökostrom von unabhängigen Ökostromanbietern: Die Anbieter besitzen keine eigenen fossilen Kraftwerke oder Atomkraftwerke, handeln nicht mit konventionellem Strom und sind auch mit keinem Unternehmen verbunden, das dies tut.

Außerdem muss das "Grünwaschen" von fossilem Strom ausgeschlossen sein: Der Strom und Herkunftsnachweise werden durch feste Handelsverträge mit EE-Kraftwerken bezogen, der Bezug von der Strombörse ist ausgeschlossen.

Förderung der Energiewende: Da Herkunftsnachweise alleine nicht zum Ausbau der erneuerbaren Energien beitragen, sollte der Ökostromanbieter sich selbst verpflichten, die Energiewende zu fördern.

Dies kann er tun, indem er darauf Wert legt, möglichst viel Strom von jungen Anlagen (zehn Jahre oder jünger) zu beziehen. Damit kann der Neubau von Anlagen für Anlagenbauer lukrativer werden – und potentiell steigen.

Außerdem sollte er einen Teil seiner Gewinne in die Förderung der Energiewende investieren. Eine ganze Reihe von Anbietern haben hierzu feste Investitionsprogramme und verpflichten sich beispielsweise, einen festen Centbetrag pro verkaufter Kilowattstunde Strom in den Neubau von erneuerbaren Energieanlagen, in Technologieförderung oder Bildungsarbeit zu investieren.

Diese Ansprüche an Ökostrom, der tatsächlich zur Energiewende beiträgt, bilden die Grundlage für die Kriterien unseres ROBIN WOOD-Ökostromreports. Unser Fazit: Es gibt nicht viele Ökostromanbieter, die diesen Kriterien gerecht werden – aber es gibt sie. Acht von 1.200 untersuchten Ökostroanbietern können wir uneingeschränkt empfehlen.

Hier findet ihr ihre Portraits und weitere Informationen. Viel Spaß beim Wechseln!