Bialowieza
Europas Urwald in Gefahr
Der Schutz der Natur steht in Polen derzeit nicht besonders hoch im Kurs. Nach den Wahlen 2015 kam die rechtspopulistische PiS-Partei (Partei für Recht und Gerechtigkeit) an die Regierung. Diese verabschiedete schnell das von Umweltminister Jan Szyszko initiierte „Baummassaker-Gesetz“. Das neue Gesetz erlaubt das Fällen von Bäumen auf privaten Grundstücken ohne vorherige Genehmigung seitens einer Behörde.
PiS-Partei: Deregulierung und Einschüchterung
Obwohl es offiziell nur die Pflege von Grundstücken vereinfachen soll, wurde der kommerzielle Einschlag von Einzelbäumen, kleinen Baumgruppen oder Alleen massiv erleichtert. AktivistInnen beschreiben, dass die Zahl der Baumstümpfe im ganzen Land drastisch zugenommen hat und Motorsägen mittlerweile Mangelware sind. Auch wird auf vielen Grundstücken abgeholzt, um sie als Bauland zu verkaufen. Dieses Gesetz erzeugt großen Widerstand in der Bevölkerung. Inzwischen kommt Protest auch von außerhalb der Umweltszene, z.B. von patriotischer und religiöser Seite – das klassische Klientel der PiS-Partei.
Umweltminister Szyszko gerät daher unter Druck und sieht sich mit Rücktrittsforderungen seitens der Opposition und Umweltverbände konfrontiert. Dennoch ist die PiS-Partei mit ihrem Rechtsruck sehr erfolgreich: Die De-regulierung des Umweltschutzes, der Abbau kritischer Institutionen und die Einschüchterungen der Zivilgesellschaft gehen voran.
Einen Höhepunkt der Aufmerksamkeit erreichte die polnische Regierung nun nach der Zustimmung zu einem neuen Managementplan für den Bialowieza-Wald. Damit wird das Baummassaker nun auch den einzigen noch bestehenden Tiefland-Urwald Europas, mit bedeutenden Arten wie Wisent, Luchs, Wolf, Bär und Elch, treffen. Bis 2023 können nun 188.000 Festmeter Holz geschlagen werden.
Das ist drei Mal so viel wie im Forstmanagementplan von 2012 vorgesehen war, der nur eine Entnahme von einzelnen Bäumen erlaubte. Der Plan war erst nach jahrelangen Verhandlungen unter Vermittlung der EU beschlossen worden und sollte die Rechte der lokalen Bevölkerung und die Natur schützen. Er führte zur Ausweitung der Anerkennung als UNESCO-Weltnaturerbe. Die 2012 formulierten Schutzmaßnahmen fallen durch den neuen Managementplan weg. Das könnte auf lange Sicht das Ende des Urwalds sein.
Ende des Urwalds
Professor Thomasz Wessolowski von der Universität Wroclaw drückte das gegenüber dem britischen Guardian so aus: „Ab einem bestimmten Punkt wird es einen Kollaps geben, und wenn das passiert, dann ist es [das Ökosystem] für immer weg – und kein Geld der Welt kann es zurückbringen. Mit jedem gefällten Baum kommen wir näher an diesen ‚Point of no return‘.“
Wie die nationalistische Regierung mit Kritik umgeht, zeigte sich dann nochmal deutlich: Der Streit um die neue Höchstmenge für den Holzschlag sorgte sogar für die Entlassung von WissenschaftlerInnen, die sich diesem Vorhaben entgegenstellten. 32 von 39 Mitgliedern des Staatlichen Rates für Naturschutz wurden kurzerhand entlassen, als sie die falsche Forderung stellten. Dennoch schrieben im Juni dieses Jahres 33 polnische Universitätsdekane einen Brief an den Präsidenten, in dem sie auf die Bedrohung des Waldes hinwiesen.
Der polnische Umweltminister macht den Borkenkäfer verantwortlich
Laut dem polnischen Umweltminister Jan Szyszko wurde die Obergrenze für den Holzeinschlag angehoben, um den Wald von einem starken Borkenkäferbefall zu befreien. Sowohl die EU-Kommission als auch die UNESCO sowie zahlreiche Umweltverbände sehen darin jedoch einen schädlichen Eingriff in das einmalige Ökosystem. In einem mono-kulturellen Forst stellt der Käfer, der sich massenhaft vermehren kann, tatsächlich ein großes Problem dar: Ein starker Borkenkäferbefall führt zu einer großen Menge Totholz. Doch in einem natürlichen, intakten Wald entstehen gerade durch den Borkenkäferbefall neue Biotopstrukturen, die zu einer größeren Artenvielfalt führen und dadurch das Potential zu Anpassung an Umweltveränderungen erhöhen. Insgesamt wird das Ökosystem also gestärkt.
Doch bei den in Bialowieza befallenen Bäumen handelt es sich um Fichten, und diese lassen sich zu relativ guten Preisen verkaufen. Zuzulassen, dass die Natur ihren Weg geht – und dies auf eine einmalige Art und Weise in Europa – anstatt das Holz wirtschaftlich zu nutzen, widerstrebt Minister Szyszko offensichtlich. Als Argument für seine Anti-Naturschutzpolitik missbraucht er ausgerechnet Naturschutzargumente.
In wirtschaftlich genutzten Wäldern werden kranke Bäume entsorgt und gesunde Bäume zur Holzgewinnung gefällt, sodass kein Totholz im Forst vorkommt. Dieses wirtschaftlich nicht nutzbare Material bietet jedoch vielen Insekten, aber auch größeren Tieren Schutz und Nahrung: Im Bialowieza gibt es acht Spechtarten, die im Totholz brüten. Damit sind dort alle mitteleuropäischen Spechtarten vertreten. Auch in Europa selten gewordene Säugetiere wie Luchse und sogar Wisente finden im europäischen Urwald einen Lebensraum.
Das Gebiet des Bialowieza-Urwald liegt nicht nur in Polen, er reicht bis nach Weißrussland hinein. Dort gibt es gänzlich andere Vorhaben für den Wald. Das in den 50er Jahren entwässerte Niedermoorgebiet wird heute als Weideland genutzt. Dennoch wurde eine Teilfläche von 12 Quadratkilometern in den Nationalpark integriert. Seit Ende letzten Jahres werden hier Wassergräben verschlossen, um das Gebiet wieder zu vernässen. Diese Bestrebungen werden von der UNESCO unterstützt.
Neben der UNESCO übt auch die Europäische Kommission Kritik an den Geschehnissen in Polen. Die Europäische Kommission hat Polen aufgefordert, die EU-Vorschriften zum Schutz von natürlichen Lebensräumen und Vögeln einzuhalten. Da Polen dieser Forderung nicht nachgekommen ist, hat die Europäische Kommission die polnische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt und eine einstweilige Verfügung zum Stopp der Abholzung beantragt.
Seit Juni 2017 wird es richtig ernst: Einige Unternehmen haben für die polnische Regierung Holzvollernter, die Bäume fällen, entrinden und zerlegen, vor den Wäldern aufgefahren und mit dem Fällen begonnen. AktivistInnen haben dagegen mit Sitzblockaden demonstriert und konnten einige Arbeiten verzögern. Auch in Warschau sind einige tausend Menschen für den Urwald auf die Straße gegangen. Das ist ein mutiger Einsatz in einem Land, in dem Protest inzwischen schnell kriminalisiert wird.
Eine gute Nachricht ließ die Umweltbewegung für einen Moment hoffen: Die UNESCO hat am 5. Juli die polnische Regierung zum Stopp der Waldzerstörung aufgerufen und warnte, dass der Wald sonst als „bedrohtes Weltnaturerbe“ gelistet würde. Leider schreiben schon wenige Tage später die polnischen WaldschützerInnen, dass die Regierung weiter abholze. Doch immerhin steigt der Druck. Vielleicht wird dieser für Minister Szyzko und seine Behörde irgendwann zu groß.
Bis dahin werden sich UmweltaktivistInnen weiter für den Schutz des Waldes einsetzen. Denn um einen gefällten Baum zu ersetzen, dauert es schon Jahrzehnte. Ein zerstörter Urwald kommt niemals wieder.