Bialowieza

Europas Urwald in Gefahr

12. September 2017
Wald
Jannis Pfendtner und Jana Fischer
Waldreferat ROBIN WOOD
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Der Lebensraum der letzten freilebenden Großtierarten in Europa ist akut bedroht, denn Polen hat den Schutz des Bialowoeza-Urwaldes aufgehoben und schlägt massiv Holz ein
wer mei CC BY 2.0
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Feuchtgebiete wie hier im Bialowieza Urwald sind in Europa selten geworden. Die meisten wurden entwässert, um sie wirtschaftlich nutzbar zu machen.
Lilly M. CC BY-SA 3.0
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Seitdem in Polen das "Baummassaker-Gesetz" in Kraft ist, wächst der Widerstand. Die Krakauer Künstlerin Cecylie Malik steht hinter der Aktion: Polnische Mütter gegen Kahlschlag
Tomasz Wiech, n-ost
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August, 2017: Die polnische Regierung fällt trotz EuGH-Urteil im letzten Flachland-Urwald Europas. ROBIN WOOD verlangte vor dem staatlichen Polnischen Institut in Berlin den sofortigen Stopp der Zerstörung dieses Naturschatzes.
Knut Hildebrandt
Magazin

Der Schutz der Natur steht in Polen derzeit nicht besonders hoch im Kurs. Nach den Wahlen 2015 kam die rechts­populistische PiS-Partei (Partei für Recht und Gerechtigkeit) an die Regierung. Diese verabschiedete schnell das von Umweltminister Jan Szyszko initiierte „Baummassaker-Gesetz“. Das neue Gesetz erlaubt das Fällen von Bäumen auf privaten Grundstücken ohne vor­herige Genehmigung seitens einer Behörde.

PiS-Partei: Deregulierung und Einschüchterung

Obwohl es offiziell nur die Pflege von Grundstücken vereinfachen soll, wurde der kommerzielle Einschlag von Einzelbäumen, kleinen Baumgruppen oder Alleen massiv erleichtert. AktivistInnen beschreiben, dass die Zahl der Baumstümpfe im ganzen Land drastisch zugenommen hat und Motorsägen mittlerweile Mangelware sind. Auch wird auf vielen Grundstücken abgeholzt, um sie als Bauland zu verkaufen. Dieses Gesetz erzeugt großen Widerstand in der Bevölkerung. Inzwischen kommt Protest auch von außerhalb der Umwelt­szene, z.B. von patriotischer und religiöser Seite – das klassische Klientel der PiS-Partei.
Umweltminister Szyszko gerät daher unter Druck und sieht sich mit Rück­­trittsforderungen seitens der Opposition und Umweltverbände konfrontiert. Dennoch ist die PiS-Partei mit ihrem Rechtsruck sehr erfolgreich: Die De-regulierung des Umweltschutzes, der Abbau kritischer Institutionen und die Einschüchterungen der Zivil­gesellschaft gehen voran.
Einen Höhepunkt der Aufmerksamkeit erreichte die polnische Regierung nun nach der Zustimmung zu einem neuen Managementplan für den Bialowieza-Wald. Damit wird das Baummassaker nun auch den einzigen noch bestehen­­den Tiefland-Urwald Europas, mit be­­­deutenden Arten wie Wisent, Luchs, Wolf, Bär und Elch, treffen. Bis 2023 können nun 188.000 Festmeter Holz ge­­­schlagen werden.
Das ist drei Mal so viel wie im Forst­­managementplan von 2012 vorgesehen war, der nur eine Entnahme von einzelnen Bäumen erlaubte. Der Plan war erst nach jahre­langen Verhandlungen unter Vermittlung der EU beschlossen worden und sollte die Rechte der lokalen Bevölkerung und die Natur schützen. Er führte zur Ausweitung der Anerkennung als UNESCO-Weltnaturerbe. Die 2012 formulierten Schutzmaßnahmen fallen durch den neuen Managementplan weg. Das könnte auf lange Sicht das Ende des Urwalds sein.

Ende des Urwalds
 
Professor Thomasz Wessolowski von der Universität Wroclaw drückte das gegenüber dem britischen Guardian so aus: „Ab einem bestimmten Punkt wird es einen Kollaps geben, und wenn das passiert, dann ist es [das Ökosystem] für immer weg – und kein Geld der Welt kann es zurückbringen. Mit jedem gefällten Baum kommen wir näher an diesen ‚Point of no return‘.“
Wie die nationalistische Regierung mit Kritik umgeht, zeigte sich dann nochmal deutlich: Der Streit um die neue Höchstmenge für den Holzschlag sorgte sogar für die Entlassung von WissenschaftlerInnen, die sich diesem Vor­haben entgegenstellten. 32 von 39 Mitgliedern des Staatlichen Rates für Naturschutz wurden kurzerhand ent­­lassen, als sie die falsche Forderung stellten. Dennoch schrieben im Juni dieses Jahres 33 polnische Universitätsdekane einen Brief an den Präsidenten, in dem sie auf die Bedrohung des Waldes hinwiesen.

Der polnische Umweltminister macht den Borkenkäfer verantwortlich

Laut dem polnischen Umweltminister Jan Szyszko wurde die Obergrenze für den Holzeinschlag angehoben, um den Wald von einem starken Borkenkäferbefall zu befreien. Sowohl die EU-Kommission als auch die UNESCO sowie zahlreiche Umweltverbände sehen darin jedoch einen schädlichen Eingriff in das einmalige Ökosystem. In einem mono-kulturellen Forst stellt der Käfer, der sich massenhaft vermehren kann, tatsächlich ein großes Problem dar: Ein starker Borkenkäferbefall führt zu einer großen Menge Totholz. Doch in einem natürlichen, intakten Wald entstehen gerade durch den Borken­käferbefall neue Biotopstrukturen, die zu einer größeren Artenvielfalt führen und dadurch das Potential zu Anpassung an Umweltveränderungen erhöhen. Insgesamt wird das Ökosystem also gestärkt.

Doch bei den in Bialowieza befallenen Bäumen handelt es sich um Fichten, und diese lassen sich zu relativ guten Preisen verkaufen. Zuzulassen, dass die Natur ihren Weg geht – und dies auf eine einmalige Art und Weise in Europa – anstatt das Holz wirtschaftlich zu nutzen, widerstrebt Minister Szyszko offensichtlich. Als Argument für seine Anti-Naturschutzpolitik missbraucht er ausgerechnet Naturschutzargumente.
In wirtschaftlich genutzten Wäldern werden kranke Bäume entsorgt und gesunde Bäume zur Holzgewinnung gefällt, sodass kein Totholz im Forst vorkommt. Dieses wirtschaftlich nicht nutzbare Material bietet jedoch vielen Insekten, aber auch größeren Tieren Schutz und Nahrung: Im Bialowieza gibt es acht Spechtarten, die im Tot­holz brüten. Damit sind dort alle mittel­­europäischen Spechtarten vertreten. Auch in Europa selten gewordene Säugetiere wie Luchse und sogar Wisente finden im europäischen Urwald einen Lebensraum.

Das Gebiet des Bialowieza-Urwald liegt nicht nur in Polen, er reicht bis nach Weißrussland hinein. Dort gibt es gänzlich andere Vorhaben für den Wald. Das in den 50er Jahren entwässerte Nieder­­moorgebiet wird heute als Weideland genutzt. Dennoch wurde eine Teilfläche von 12 Quadratkilometern in den National­­park integriert. Seit Ende letzten Jahres werden hier Wassergräben ver­­schlossen, um das Gebiet wieder zu ver­nässen. Diese Bestrebungen werden von der UNESCO unterstützt.

Neben der UNESCO übt auch die Europäische Kommis­­sion Kritik an den Geschehnissen in Polen. Die Europäische Kommission hat Polen aufgefordert, die EU-Vorschriften zum Schutz von natürlichen Lebensräumen und Vögeln einzuhalten. Da Polen dieser Forderung nicht nachgekommen ist, hat die Europäische Kommission die polnische Regierung vor dem Europäischen Ge­­richts­­hof verklagt und eine einstweilige Verfügung zum Stopp der Abholzung beantragt.

Seit Juni 2017 wird es richtig ernst: Einige Unternehmen haben für die polnische Regierung Holzvollernter, die Bäume fällen, entrinden und zerlegen, vor den Wäldern aufgefahren und mit dem Fällen begonnen. AktivistInnen haben dagegen mit Sitzblockaden demonstriert und konnten einige Arbeiten verzögern. Auch in Warschau sind einige tausend Menschen für den Urwald auf die Straße gegangen. Das ist ein mutiger Einsatz in einem Land, in dem Protest inzwischen schnell kriminalisiert wird.
 
Eine gute Nachricht ließ die Umwelt­­bewegung für einen Moment hoffen: Die UNESCO hat am 5. Juli die polnische Regierung zum Stopp der Wald­­zerstörung aufgerufen und warnte, dass der Wald sonst als „bedrohtes Weltnaturerbe“ gelistet würde. Leider schreiben schon wenige Tage später die polnischen WaldschützerInnen, dass die Regierung weiter abholze. Doch immerhin steigt der Druck. Vielleicht wird dieser für Minister Szyzko und seine Behörde irgendwann zu groß.
Bis dahin werden sich Umwelt­­aktivistInnen weiter für den Schutz des Waldes einsetzen. Denn um einen gefällten Baum zu ersetzen, dauert es schon Jahrzehnte. Ein zerstörter Urwald kommt niemals wieder.