Die Bruchlinien von Cigéo

Der Plan, im französischen Bure ein Atommüll-Endlager einzurichten, stößt auf entschlossenen Widerstand

23. Mai 2018
Energie
Cécile Lecomte
Magazin

Die französische Regierung will in Bure, Lothringen, ein atomares Endlager für hoch- und mittel-radioaktiven Atommüll in tiefen geologischen Schichten errichten. Der Bauantrag für Cigéo soll 2019 gestellt werden, doch die ersten Vorarbeiten haben bereits begonnen. Gleichzeitig regt sich Widerstand gegen das umstrittene Projekt.

Vorläufiger Höhepunkt der Auseinanderrsetzungen in Bure ist der Kampf um das Waldgebiet Bois Lejuc. Die französische Atomenergiebehörde Andra startete 2016 überraschend die Bauarbeiten im Wald, obwohl sie dafür weder eine Rodungs- noch eine Baugenehmigung besaß. Die Projektgegner*innen reagierten prompt: Sie besetzten Teile des Waldes und erwirkten vor Gericht einen Baustopp. Außerdem zerstörten sie in einer gemeinsamen Aktion eine Mauer, die Andra um den Wald herum baute. Seit dem 1. August 2016 ruhen die Bauarbeiten im Wald. Die Besetzung hingegen wurde im Laufe der Zeit zunehmend größer. Die „Eulen“ von Bure, wie die Waldbesetzer*innen genannt werden, sind zum Symbol des Widerstandes gegen das atomare Endlager geworden. Am 22. Februar dieses Jahres rückte die französische Militärpolizei mit einem großen Aufgebot in den Wald und räumte die Waldbesetzung ohne Vorwarnung und ohne Rechtsgrundlage. Doch weder die „Eulen“, noch die anderen Gegner*innen des Projektes geben sich geschlagen. Denn es gibt zahlreiche Gründe gegen Cigéo zu kämpfen.

Bereits seit 25 Jahren arbeitet die Andra daran, Akzeptanz für ein Endlager in Bure zu schaffen. In einem Projekt von gigantischen Ausmaßen sollen hier 80.000 m³ mittel- und hochradioaktiver Abfall unterirdisch eingelagert werden. Kritiker*innen sehen in dem Endlager eine massive Gefahrenquelle für Mensch und Umwelt. Dem Geologen Antoine Godinot zufolge ist das Gestein so instabil, dass schon beim Graben Risse entstehen könnten. Andere unabhängige Wissenschaftler*innen betonen, dass das Explosions- und Brandrisiko nicht ausreichend berücksichtigt wurde. So können unter anderem durch die Einwirkung der ionisierten Strahlung auf das wasserhaltige Gestein und die Korrosion der Fässer, große Mengen Hydrogen entstehen. Der Gasdruck trägt zur Rissbildung bei und birgt enorme Explosionsgefahren – ein kleiner Funke reicht für eine Katastrophe. Selbst die atomare Aufsichtsbehörde ASN sieht diese Gefahren. Sie fordert die Andra auf, ihr Konzept noch vor Beantragung der Baugenehmigung zu verbessern.

Die Gegend um Bure ist strukturschwach und dünn besiedelt. Zahlreiche Politiker*innen ließen sich daher von dem Geld locken, das die Atommüllproduzenten den Kommunen anboten. Derzeit erhalten die betroffenen Départements Meuse und Haute Marne jeweils 30 Millionen Euro jährlich. Die Kommunen in einem Umkreis von zehn Kilometern erhalten zudem durchschnittlich 500 Euro pro Einwohner*in und Jahr. In den letzten Jahrzehnten erfolgte eine schleichende Atomifizierung der Gegend: Seit 1999 arbeitet hier ein Forschungslabor der Andra. Des Weiteren wurden errichtet: Archive der Atomindustrie, Standorte für die Wartung von AKW-Bauteilen, ein Umschlagplatz für AKW-Bauteile und AKW-Brennstoff in Void-Vacon und eine Anlage zur Dekontaminierung verstrahlter Arbeitskleidungen.

Dank der langjährigen Arbeit von Bürger­initiativen hat die Auseinandersetzung um Cigéo in Frankreich zu einem wachsenden Bewusstsein für die Atommüll-Problematik geführt. Seit über 20 Jahren geben die Initiativen Studien in Auftrag, veröffentlichen Analysen und Berichte und organisieren Konferenzen mit kritischen Wissenschaftler*innen. Sie decken die schleichende Atomifizierung der Region und die Machenschaften der Regierung, die mit Geldsegen und Stimmungsmache Akzeptanz für das Endlager schaffen will, auf.

Die Regierung fürchtete eine dauerhafte Verankerung des direkten Widerstandes vor Ort und geht gewaltsam und mit zunehmender Repression dagegen vor. Die Dauerstationierung der Militärpolizei in der Gegend, die Überwachung mittels Hubschrauber, Straßensperren und -kontrollen, Polizeigewalt, Hausdurchsuchungen, Demonstrationsverbote, Verhaftungen und Prozesse gehören inzwischen zum Alltag der Projektgegner*innen. Aber auch die Bevölkerung vor Ort ist direkt betroffen: „Die Polizei kontrolliert und überwacht alles. Wir haben kein Leben mehr. Aber was sollen wir dagegen tun? Sie haben die Waffen, wir haben nur unsere Höfe“, erzählt ein älterer Bauer aus Bure.

Das Vorgehen der Polizei ist dabei häufig überzogen oder auch gefährlich. Bei einer Demonstration am 15. August 2017 gab es mehrere durch Polizeigranaten schwer verletzte Demonstrant*innen. Eine aus ca. 100 Metern Entfernung abgefeuerte Granate verursachte einen ca. 50 Zentimeter großen Krater im Ackerboden. Ein Aktivist verlor dabei einen Fuß. Anfang 2018 wurde die erste Gefängnisstrafe gegen einen Aktivisten verhängt. Er soll Widerstand geleistet haben, als er bei einer Hausdurchsuchung früh morgens gewaltsam von Beamten aus seinem Bett geholt wurde. Eine ganze Reihe von Prozessen stehen noch aus – unter anderem gegen einen Projektgegner, dem Verstoß gegen das Waffengesetz vorgeworfen wird, weil bei der Kontrolle seines Fahrzeuges ein Tortenheber, zwei Taschenmesser und eine Kabeltrommel gefunden wurden.

Doch die Projektgegner*innen lassen sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Die zunehmende Repression in und um Bure hat den Widerstand erstarken lassen und in ganz Frankreich bekannt gemacht. Auf die zunehmende staatliche Repression antwortet die Anti-Atom Bewegung mit Solidarität. Nach Hausdurchsuchungen in verschiedenen Häusern in Bure im September 2017 wurden dezentrale Unterstützungskomitees gegründet. Nach der Räumung der Waldbesetzung am 22. Februar 2018 gab es vor Ort neue Besetzungen. In ganz Frankreich fanden über 70 Solidaritäts-Kundgebungen vor den Präfekturen statt und zeigten „Bure ist überall!“. Aktuell wird zu einer Großdemonstration in Bure am 16. Juni 2018 mobilisiert.

Auch die Anti-Atom Bewegung in Deutschland ist solidarisch. Im Wendland hat sich ein Unterstützungskomitee gegründet. Es gibt eine offene deutsche, bundesweite Mailingliste zum Austausch von Informationen, wo auch Du Dich eintragen kannst.

 

Cécile Lecomte steht gerne für einen Vortrag über Bure in deiner Stadt zur Verfügung. Deine Anfrage sende bitte an: vortrag [at] eichhoernchen.fr


Weitere Informationen:

- http://de.vmc.camp

- Mailingliste: https://lists.nirgendwo.info/mailman/listinfo/atomklo-bure

- „L‘opposition citoyenne au projet

Cigéo“ sous la direction de Pierre Ginet, Géographe, Edition L‘Harmattan, ISBN 978-2-343-11881-9


 


 

Gigantischer Irrweg – Cigéo in Zahlen

  • 80.000 m³ mittel- und hochradio­aktiver Atommüll sollen eingelagert werden. Das entspricht 3% des Volumens und 99% der Radioaktivität des bis heute in Frankreich produzierten Atommülls
  • Der Atommüll soll in 500 Meter Tiefe in einer wasserhaltigen Tonschicht des Callovo-Oxfordien eingelagert werden.
  • Das Lager soll 100 bis 120 Jahre lang betrieben werden. Jährlich sind 100 Castortransporte à 10 Castoren geplant, so dass durchschnittlich alle 80 Minuten ein LKW in das Lagen hinunter fahren würde.
  • Die oberirdischen Anlagen sollen 680 Hektar in Anspruch nehmen.
  • Acht Millionen Kubikmeter Gestein sollen für das Lager ausgeschachtet werden. Die Befestigung der unterirdischen Gänge erfordert Millionen Tonnen Stahl und 275.000 m³ Beton.
  • Die Regierung hat für Cigéo 25 Milliarden Euro veranschlagt. Der Rechnungshof hält dagegen 41 Milliarden Euro für realistisch – ohne Unfall!