Kahlschlag ist auf 96 Prozent der schwedischen Waldflächen die gängige Fortspraxis

Katastrophe für die schwedischen Wälder

10. Dezember 2024
Daniel Rutschmann
Protect the Forest, Schweden
Magazin

Unendliche Wälder, unberührte Natur – dafür ist Schweden bekannt. Doch große Teile der schwedischen Bevölkerung und Umweltorganisationen schlagen Alarm, denn die Holzfällunternehmen wandeln weiterhin ungebremst Naturwälder in Monokulturen um, so Sebastian Kirppu von Skydda Skogen/Protect the Forest, einer schwedischen Waldschutzorganisation.

 

96 Prozent der Waldflächen bewirtschaftet die schwedische Forstwirtschaft  im Kahlschlag. Der Boden der gerodeten Flächen wird intensiv bearbeitet. Abschließend wird mit für schnelleres Wachstum optimierten Fichten- oder Kiefernsämlingen aufgeforstet. Das Ziel in Schweden scheint es zu sein, eine möglichst billige Produktionskette vom Rohstoff im Wald bis zum verarbeiteten Endprodukt zu erreichen, mit minimaler Rücksicht auf die Belange der Natur. Aber wollen wir wirklich, dass die letzten Urwälder zu Toilettenpapier verarbeitet werden?

In Schweden befinden sich 0,6 Prozent der weltweiten Waldflächen, und deren Produktivität ist aufgrund des nördlichen Klimas im Vergleich zu vielen anderen Ländern gering. Dennoch liegt Schweden bei der jährlichen Holzernte an sechster Stelle in der Welt, gleich hinter den riesigen Ländern USA, Russland, Kanada, China und Brasilien. Kein Land der Welt bewirtschaftet seine Wälder flächenmäßig so intensiv wie Schweden und das benachbarte Finnland. Seit dem großflächigen Beginn der Kahlschlagwirtschaft in den 1950er Jahren wird jährlich etwa ein Prozent der Waldfläche gerodet. Nur sechs Prozent der produktiven Waldflächen in Schweden sind formell geschützt. Obwohl in Schweden große Teile der natürlichen Wälder abgeholzt wurden, verfügt das Land nach Schätzungen der schwedischen Umweltschutzbehörde immer noch über die größte Fläche an zusammenhängenden Wäldern in der EU, d. h. Wälder, die sich ganz natürlich, also ohne menschliche Eingriffe und Pflanzungen verjüngen und nie abgeholzt wurden.

Nach Schätzungen der schwedischen Behörden lag der Anteil der verbleibenden älteren Wälder mit hohem Naturschutzwert an der produktiven Waldfläche, die außerhalb streng geschützter Gebiete liegen, zwischen 1,5 und 1,8 Millionen Hektar. Das sind ca. fünf bis acht Prozent. Zählt man, die nicht als „Naturwälder“ definierten, aber dennoch naturschutzwürdigen Kontinuitätswälder hinzu, liegt der Anteil etwas höher. Studien zeigen, dass bei der heutigen hohen Abholzungsrate alle schützenswerten Naturwälder in wenigen Jahrzehnten verschwunden sein werden. Protect the Forest setzt sich für den Erhalt des schwedischen Naturerbes ein und beobachtet, dass schwedische Forstunternehmen systematisch Wälder mit hohem Naturschutzwert abholzen. Der mehrfach ausgezeichnete Waldbiologe Sebastian Kirppu von Protect the Forest arbeitet seit über zwei Jahrzehnten mit großer Leidenschaft an der Kartierung bedrohter Wälder.

“Wir werden Zeugen der rücksichtslosen Ausbeutung der Natur, wenn die Holzerntemaschinen der multinationalen Forstunternehmen Tag und Nacht schützenswerte Wälder abholzen. Wir können es uns nicht leisten, diese Wälder zu verlieren, wenn es uns gelingen soll, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen“, meint Sebastian Kirppu.

Das Vertrauen in den FSC-Schweden ist komplett zerstört

Die schwedischen Umweltziele für die Wälder können mit der derzeitigen Forstpolitik nicht erreicht werden. Doch die derzeitige Regierung hat sowohl die Mittel für den Naturschutz gekürzt als auch die Mittel für die Behörden, die die Forstwirtschaft kontrollieren, stark reduziert. Auch die freiwilligen FSC- und PEFC-Zertifizierungen, die garantieren sollen, dass die Produkte aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammen, werden von Protect the Forest heftig kritisiert. Während der FSC-Deutschland Kahlschlag verbietet, einen durchschnittlichen Abstand von 40 Metern zwischen den Rückegassen vorschreibt und den Einsatz schwerer Maschinen zur Bodenbearbeitung untersagt, billigt FSC-Schweden all dies als ordnungsgemäße forstwirtschaftliche Praktiken. „Das Vertrauen in den FSC ist völlig zerstört. Wir haben Jahr für Jahr immer wieder belegt, dass Wälder mit hohem Naturschutzwert abgeholzt wurden, obwohl die FSC-Regeln dies verbieten. Die meisten Umweltorganisationen haben den FSC aus Protest bereits verlassen“, sagt Kirppu.

Der größte Teil der FSC-zertifizierten Flächen befindet sich im Besitz von vier Unternehmen: dem staatlichen Sveaskog und den privaten Aktiengesellschaften SCA, Stora Enso und Holmen. Zusammen besitzen sie rund neun Millionen Hektar Wald, das ist ein Drittel des gesamten schwedischen Waldes. Mit ihrem großen Waldbesitz können sich die Unternehmen billige Rohstoffe für ihre Industrien sichern, mit denen sie Bäume zu Sägeholz, Zellstoff und Papier verarbeiten.

Schweden ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Forsterzeugnissen. Mehr als 80 Prozent der erzeugten Produkte werden ins Ausland verkauft. Deutschland ist mit ca. 20 Prozent Marktanteil der größte Abnehmer. Das bedeutet, dass jeder sechste Kahlschlag im Land für den Verbrauch auf dem deutschen Markt begründet ist. 
Die schwedische Forstindustrie gibt enorme Mengen an Geld aus, um die schwedische Forstwirtschaft als Vorreiter im Umweltschutz zu vermarkten, aber das ist reines Greenwashing. Es ist schwierig für uns, die deutschen Kund*innen und Verbraucher*innen zu erreichen. Aber es ist wichtig für sie verstehen, dass sie durch den Kauf schwedischer Forstprodukte eine Verantwortung tragen”, sagt Kirppu.

Uralte Fichten landen in Papier für Deutschland

Ein Unternehmen, das in den letzten Jahren oft in den Schlagzeilen stand, ist SCA. Essity, das früher zu SCA gehörte und dann als SCA Hygiene bekannt war, ist der weltweit zweitgrößte Hersteller von Hygienepapier und mit Marken wie Lotus, Tempo und Zewa Marktführer in Europa. Ein Großteil des Rohmaterials wird aus Schweden und insbesondere von SCA bezogen. In letzter Zeit gab es wiederholt Nachweise darüber, dass SCA Naturwälder mit geschützten und gefährdeten Arten abgeholzt und wichtige Rentierweidegebiete zerstört hat. Es wurde sogar bekannt, dass SCA in geplanten Naturschutzgebieten und in so genannten Schlüsselbiotopen, also in besonders schützenswerten Waldgebieten, Holzeinschlag betreibt. All dies ist vom FSC verboten. Und doch beseteht SCA immer wieder Audits und erhält neue Zertifikate erhalten.

Protect the Forest hat eine Liste von Wäldern mit bekannt hohem Naturwert zusammengestellt, die SCA abgeholzt hat oder abholzen will. Allein in diesem einen Unternehmen gibt es 500 dokumentierte Fälle.  Für Protect the Forest ist das nur die Spitze des Eisbergs, da die Bestandsaufnahmen auf freiwilliger Basis durchgeführt werden – oft durch Umweltorganisationen. Diese haben allerdings nur die Ressourcen, einen Bruchteil der 60.000 Wälder zu besuchen, die jedes Jahr zum Einschlag angemeldet werden.

„Der gesamte schwedische FSC ist eine Farce, der nicht einmal mehr so tut, als würde er funktionieren. DNV, das Institut, das überprüfen sollte, ob SCA die FSC-Vorschriften einhält, hat den Vertrag gekündigt und alle von uns eingereichten Beschwerden zurückgeschickt – seit sechs Monaten hat also niemand mehr die Forstwirtschaft von SCA überprüft. Dennoch dürfen sie ihre Produkte weiterhin als FSC-zertifiziert verkaufen. Das ist ein einziger großer Betrug, bei dem Kund*innen, Politiker*innen, die Öffentlichkeit und der Markt getäuscht werden“, sagt Kirppu. „Wann wird diese Gier nach mehr und mehr aufhören? Aber ich habe noch Hoffnung. Denn je mehr Menschen wissen, dass hier in Europa die gleiche Art von Abholzung stattfindet wie in Südamerika, desto mehr Menschen werden sich dagegen wehren und für den Wald kämpfen. Und wenn sie den gleichen Mut und die gleiche Ausdauer zeigen wie diese erstaunlichen Menschen hier in Schweden, die sich in kleinen Gruppen zusammengefunden haben und diesen Kampf als David und Goliath führen, dann haben wir noch eine Chance die alten Wälder hier zu retten.“
 

Aktionsgruppe auf den Kahlschlagflächen bei Sundsvall mit Vertreter*innen der Sámi, von der NGO Protect the Forest und ROBIN WOOD und mit Vertreter*innen von Unternehmen, die FSC zertifizierte Rohstoffe aus Schweden beziehen.
Foto: Daniel Rutschmann

ROBIN WOOD bei Protect the Forest in Schweden

Schluss mit dem Kahlschlag! Dafür setzt sich die schwedische Aktionsgruppe Skydda Skogen/Protect the Forest ein. Ende  September organisierte die Gruppe eine Aktion in der Nähe von Sundsvall, zu der Malte Krusche für ROBIN WOOD eingeladen wurde. Hier ein Bericht von ihm aus Schweden.

Wer wie ich mit dem Zug die schwedische Ostküste hinauffährt, sieht keine alten Wälder mehr. Die dicksten und ältesten Bäume stehen in den Dörfern und Ortschaften. Immer wieder sehe ich riesige  Kahlschlagflächen. Die Kahlschlagwirtschaft ist in Schweden, wo Forstwissenschaft, Forstbehörden und Forstindustrie eng miteinander verbandelt sind, immer noch State of the Art, eine Wirtschaftspraxis, die unter schwedischen Bedingungen angeblich alternativlos ist. Dass dies nicht den Tatsachen entspricht, lässt sich in naturnah wirtschaftenden Betrieben in Norwegen und Finnland, aber auch in Göteborg in Schweden beobachten.

Daniel von Protect the Forest empfängt mich am Abend vor der Aktion in Sundsvall und erläutert den Ablauf und wie wir die nächsten Tage verbringen werden. Protect the Forest kämpft schon lange gegen die schwedische Holz- und Zellstoffindustrie. Die Gruppe hat ein Treffen mit Vertreter*innen bekannter Großkonzerne, die FSC zertifizierte Rohstoffe aus Schweden beziehen, arrangiert, um ihnen die dadurch ausgelösten Schäden vor Augen zu führen. ROBIN WOOD sollte dabei sein, um dem Konzernen deutlich zu machen, dass wir bereit sind Protect the Forest zu unterstützen und die Öffentlichkei in Deutschland zu sensiblisieren, wer für den Kahlschlag in Schweden verantwortlich ist.

Am Aktionstag stehen wir früh auf und fahren mit zwei Kleinbussen los. Wir wollen die Vertreter*innen der Konzerne treffen – sowie die eines Unternehmens treffen, das ihnen helfen soll, ökologischer zu werden. Nach rund einstündiger Fahrt erreichen wir als erste Station einen großflächigen Kahlschlag, an dem die Praxis der schwedischen Forstindustrie mit ihren Umweltschäden anschaulich wird. Hier treffen wir auch Vertreter*innen der indigenen Sámi, auf deren ehemaligen Weideflächen der Kahlschlag stattgefunden hatte.

Die seit den 1950er Jahren in Schweden durchgeführte intensive Kahlschlagpraxis hat den größten Teil der schwedischen Wälder in forstliche Monokulturen verwandelt. Die letzten Reste der einstigen Naturwälder liegen mosaikartig verstreut in der schwedischen Landschaft. Nur im Bergland im Westen Schwedens gibt es noch größere zusammenhängende Naturwälder.
Die flechtenreichen Wälder sind traditionelle Weidegründe der Rentiere der Sámi, die ihre Herden im Sommer in den Bergen weiden lassen und im Winter in die Tieflagen treiben. Diese Wanderungsbewegungen als Teil des traditionellen Lebens der Sámi sind wegen der Kahlschlagswirtschaft schon lange nicht mehr möglich. Durch den andauernden Raubbau an den Wäldern verschwinden nun die letzten Weideflächen. Nach Kahlschlag, Bodenbearbeitung und Aufforstung bleibt nichts übrig, das die Rückkehr der Flechten ökologisch ermöglichen würde. Dies geschieht, obwohl der FSC-Schweden die angestammten Weiderechte der Sámi berücksichtigen müsste.

An den nächsten Exkursionspunkten zeigen Daniel, Viktor und Sebastian von Protect the Forest alte Waldstandorte, für die bereits Anträge zum Kahlschlag bei den Forstbehörden vorliegen. Das einzige Mittel, um den Kahlschlag zu verhindern, ist Indikatorarten und Rote-Liste-Arten zu finden, die den besonderen Wert des Waldes für den Artenschutz belegen. Ab dem Moment, an dem der Antrag zum Kahlschlag eingeht, startet ein Kampf gegen die Zeit. Die schwedischen Naturschützer*innen, nicht nur Protect the Forest, fahren in den Wald, um dort die seltenen Flechten und Pilze oder Hinweise auf den mit Urwald assoziierten Dreizehenspecht zu dokumentieren. Damit können sie beweisen, dass der Wald nicht abgeholzt werden darf. Aber viel zu oft sind sie zu spät und es fehlen Leute, um die wertvolle Natur im Wald rechtzeitig zu dokumentieren. Und so verschwindet Tag für Tag, Hektar für Hektar der alte schwedische Naturwald, mit seinem Artenreichtum, seinen reichen Waldböden, seiner wilden Schönheit und weicht der wüsten industriellen Forstwirtschaft.

An unserem letzten Exkursionspunkt begutachten wir einen Kahlschlag und einen alten Wald. Dort sehen wir die Schäden, die die schweren Maschinen in der Landschaft anrichten, wenn sie zum Beispiel über ökologisch wertvolle Kleingewässer fahren und diese für immer verändern. Auch eine Altersbestimmung der Bäume findet statt. Als ich im Nachgang der Exkursion noch einige Tage mit Daniel auf anderen Kahlschlägen unterwegs bin, können wir zahlreiche über dreihundert Jahre alte Bäume finden, die abgeholzt wurden. Das dabei erbeutete Holz der alten Bäume geht zum Großteil an die Zellstoffindustrie und wird den deutschen Verbraucher*innen von Essity und ähnlichen Konzernen als Klopapier, Taschentücher und Küchenrolle unter Markenlabels wie Tempo und Zewa verkauft. Das alles wird vom FSC-Schweden zertifiziert, in deren Umweltkammer nur noch zwei Umweltorganisationen sitzen. Die deutschen Verbraucher*innen kaufen dann FSC-zertifiziertes Klopapier, hergestellt aus dreihundertjährigen Fichten.

Nach der Exkursion hören wir Vorträge von Protect the Forest und Göran Englund, einem Professor für Ökologie an der Universität von Umea, der darüber berichtet, wie die schwedische Forstwissenschaft durch ihre Forschung der Forstlobby zuarbeitet und versucht nachzuweisen, dass Kahlschläge besonders klimafreundlich sind.

In den darauffolgenden Tagen sind Daniel und ich in  Wäldern unterwegs, für die Kahlschläge beantragt wurden. Wir kartieren gefährdete Arten in zwei beeindruckenden alten Wäldern. Ich freue mich, dass ich für ROBIN WOOD zum Gelingen der Aktion beitragen kann und bedanke mich für die Gastfreundschaft bei Protect the Forest! Auch in Zukunft werden wir mit ROBIN WOOD den Kampf um die ursprünglichen schwedischen Wälder unterstützen!

Malte Krusche, Waldfachgruppe ROBIN WOOD