Ohne Auto leben
"Autogerechte Stadt" war gestern
"Ohne Auto leben“ – das klingt gefährlich nach verkniespertem Verzicht und Spaßbremse. Schließlich ist das Auto doch nicht umsonst das Symbol unserer Freiheit, oder?
Unbestreitbar, das Auto ist für viele Zwecke enorm praktisch. Es fährt Menschen und Dinge problemlos von überall nach irgendwo. Okay, für Umwelt und Klima ist es alles andere als optimal, aber ohne Auto geht eben vieles nicht, und es machen doch schließlich fast alle, oder? Mehr als 80 Prozent des Personenverkehrs findet mit dem Auto statt.
Autofreies Leben nur als Verzicht zu sehen, ist aber sehr engstirnig gedacht. Denn ein Auto ist auch eine enorme Belastung – nicht nur finanziell, sondern es benötigt auch viel Zeit und Aufmerksamkeit: Es will gekauft, instandgehalten, repariert, geparkt und gepflegt werden. Und den überwiegenden Teil der Zeit steht es doch nur nutzlos herum. All die Ressourcen, die sonst in das Auto fließen würden, können für anderes besser genutzt werden. Der bewusste Verzicht aufs Auto ist eine Befreiung.
Die meisten Autobesitzenden betrachten fast nur die reinen Betriebskosten. Besonders um die Preise für Benzin und Diesel entbrennen emotionale Debatten. Dabei haben sie an den Gesamtkosten nur einen kleinen Anteil. Der größte Posten ist der Anschaffungspreis. Dazu kommen die Fixkosten wie Versicherung, Kfz-Steuer, Parkgebühren, Zubehör, technische Untersuchungen etc., die ebenfalls weitgehend unabhängig von der tatsächlichen Benutzung anfallen, Kosten für Reparaturen, Verschleißteile, neue Reifen usw. Aufaddiert schlägt selbst ein Kleinwagen mit rund 400 Euro im Monat zu Buche. Und bei einem Luxus-SUV sind es über 2.600 Euro pro Monat – oder rund 2,10 Euro auf jeden gefahrenen Kilometer. Diese Zahlen stammen übrigens vom ADAC, der sicher nicht im Verdacht steht, das Auto schlechtrechnen zu wollen. Der Durchschnitts-Deutsche gibt in seinem ganzen Leben 312.000 Euro für Autos aus.
Der Verzicht auf ein Auto spart also eine Menge Geld. Zwar sind auch die Mobilitätsalternativen nicht umsonst, aber in Anbetracht der monatlichen Beträge für ein Auto relativiert sich der Anschaffungspreis eines Fahrrades oder die Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr doch erheblich. Und selbst eine BahnCard 100 als Dauer-Freifahrkarte im gesamten Bahnnetz erscheint plötzlich gar nicht mehr teuer.
Leben ohne Auto ist aber auch ein massiver Zeitgewinn. Zum einen kostet es Arbeitszeit, um das Geld zu verdienen, das es verschlingt. Dazu kommt das Fahren selbst: Ein Auto funktioniert zumindest bislang nur mit voller Aufmerksamkeit am Lenkrad. Die Autohersteller versprechen zwar selbstfahrende Autos, aber viele technische und rechtliche Fragen sind noch ungeklärt, von den neuen Risiken ganz abgesehen. Aber die Möglichkeit, einfach so dazusitzen und die Zeit für anderes zu nutzen, gibt es auch heute schon – und zwar im öffentlichen Verkehr. Die Fahrt mit Bahn oder Bus schenkt eine Menge Zeit – zum Lesen, Musikhören, Sich-Unterhalten oder auch zum Arbeiten.
Und neben Geld und Zeit stiehlt ein Auto auch noch weitere wertvolle Ressourcen: nämlich unsere Aufmerksamkeit und Energie. Ein Auto muss geparkt, betankt, gereinigt und instandgehalten werden, es muss regelmäßig zur Wartung, Reparatur, Inspektion, Reifenwechsel – und mit etwas Pech wird es aufgebrochen oder angefahren, was Ärger mit Versicherungen und Werkstätten nach sich zieht. All diese Arbeiten lassen sich aber einfach Profis übertragen: Um den Unterhalt von Bussen, Bahnen oder Carsharing-Autos müssen sich die Nutzenden nicht selbst kümmern.
Der Philosoph Ivan Illich hat ein Konzept entwickelt, um Zeit und Geld für das Auto zu verrechnen. Für einen durchschnittlichen Städter kam er auf 1.600 Stunden im Jahr, die dieser letztlich mit dem und für das Auto verbringt. Bringt man das ins Verhältnis mit der zurückgelegten Strecke, kommt man auf eine „Realgeschwindigkeit“ des Autos von nicht einmal 8 Kilometern pro Stunde. Illichs Schlussfolgerung: »Das Fahrrad ist der perfekte Apparat, der die metabolische Energie des Menschen befähigt, den Bewegungswiderstand zu überwinden. Mit diesem Gerät ausgestattet, übertrifft der Mensch nicht nur die Leistung aller Maschinen, sondern auch die aller Tiere.«
Zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs zu sein ist dazu auch gut für die Gesundheit: Der Blutdruck wird gesenkt, Körperfett wird abgebaut, und es gibt sogar eine messbare Verlängerung der Lebenserwartung. Das Lenken im Auto und das Treten von Gaspedal, Kupplung und Bremse können das nicht ersetzen. Das Sitzen in Bussen und Bahnen zwar auch nicht, aber der öffentliche Verkehr ist meist mit einem Stück Weg zu Fuß oder mit dem Fahrrad bis zur Haltestelle verbunden. Und der öffentliche Verkehr ist doppelt gut für die Gesundheit: Das Risiko zu verunglücken ist in Bussen und Bahnen um ein Vielfaches geringer als im Auto.
Die Organisation des täglichen Lebens hängt stark von der Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln ab. Wer fast alle seine Wege mit dem Auto zurücklegt, ist fest davon überzeugt, dass es anders gar nicht gehe. Dieser falsche Eindruck liegt aber oft daran, dass die Alternativen nie ernsthaft erwogen würden – weil es ja gar keine Notwendigkeit gab. Wer ohne Auto lebt, organisiert sein Leben zwar anders, ist aber deswegen auch alles andere als immobil.
Nicht-Autobesitzende kaufen häufiger kleinere Mengen auf dem Weg ein statt einem großen Wocheneinkauf, sie kaufen lokal –und haben als positiven Nebeneffekt frischeres Essen. Große Einkäufe werden auch von vielen Anbietern nach Hause geliefert. Und Ausflüge mit dem öffentlichen Verkehr haben den Vorteil, dass man nicht immer wieder zum Auto zurück muss. Für Fernreisen bietet die Bahn den besten Komfort, und viel Gepäck kann man einfach vorne weg schicken. Oft kommt es auf ein paar kleine Kniffe an, um das Leben ohne Auto komfortabel zu gestalten. Und für die Wege, die wirklich nicht ohne Auto funktionieren, ist das Leihen oder Teilen von Autos eine gute Möglichkeit.
Wer nicht gleich ganz ohne eigenes Auto leben will oder kann, kann es mit einer langsamen Entziehungskur probieren: Weniger Wege mit dem Auto, mehr zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Oder ein paar Wochen Autofasten. So lassen sich Gewohnheiten durchbrechen und es wird klar, dass viele Dinge auch gut ohne Auto funktionieren – und oft sogar besser als mit. „Autofahren ist heilbar“, wie es Franz Alt ausdrückt.
Die Entscheidung für oder gegen das Auto nur dem Einzelnen zu überlassen, ist aber auch zu kurz gegriffen. Wer in einem Dorf wohnt, wo nur dreimal am Tag ein Bus fährt, der muss sich für ein Leben ohne Auto tatsächlich sehr einschränken – und hat nicht Unrecht, wenn er darauf verweist, dass autofreies Leben ein Privileg von Städtern ist. Deswegen brauchen wir auch politische Veränderungen, um die Strukturen für die Vorherrschaft des Autos aufzubrechen. Noch immer investieren wir jedes Jahr viele Milliarden in neue Straßen und Autobahnen, die Straßenverkehrsordnung ist einseitig auf das Auto ausgerichtet und wir subventionieren es in vielfacher Weise – unter anderem durch das Dieselsteuer- und Dienstwagenprivileg und vor allem dadurch, dass die sogenannten externen Kosten von der Gesellschaft getragen werden: Unfälle, Klimakosten, Folgen von Lärm und Abgasen – all das zahlen eben nicht die, die Auto fahren. Gleichzeitig werden Fuß- und Fahrradverkehr in vielen Kommunen immer noch als exotische Sportarten betrachtet, wird die Bahn geschrumpft, und der öffentliche Nahverkehr ist oft unattraktiv. Nur wenn sich an diesen Strukturen etwas ändert, wird autofreies Leben zum Normalfall werden können. Viele Protestbewegungen in dieser Richtung zeigen schon jetzt, wie viel schöner ein Leben ohne Autos wäre: Die Critical Mass in vielen Städten oder der internationale ParkingDay im September, bei dem Parkplätze mit Rollrasen, Liegestühlen und vielen kreativen Ideen zu nutzbarem Stadtraum umgestaltet werden. Und parallel sollten wir ruhig schon mal anfangen und zeigen, was alles auch jetzt schon ohne Auto geht.