EU-Taxonomie: NGO-Koalition will Greenwashing mit Klage verhindern
Auch Kriterien für Bewertung von Bioenergie und Forstwirtschaft gehören auf den Prüfstand / EU-Kommission gefährdet Wälder und ignoriert wissenschaftliche Erkenntnisse
Die EU-Kommission konkretisiert mit den „Delegierten Rechtsakten“ der EU-Taxonomie-Verordnung die Regeln für so genannte nachhaltige Investitionen. Eine Koalition von NGOs aus der gesamten EU – unterstützt von Partnern in Großbritannien und den USA – kritisiert nun das Vorgehen der Kommission im Bereich der Bioenergie und Forstwirtschaft als unwissenschaftlich und als klaren Verstoß gegen die EU-Taxonomie-Verordnung. Die Regelungen dazu waren bereits 2021 – vor dem jüngsten Rechtsakt zu Atom und Gas – erfolgt.
„Anstatt Investor*innen die Gewissheit zu geben, dass ihre Investitionen tatsächlich 'grün' und umweltfreundlich sind, hat sich die Taxonomie zu einer großen Greenwashing-Aktion entwickelt. Wir sind der Meinung, dass die Kriterien für Bioenergie und Forstwirtschaft rechtswidrig sind und wollen die EU zur Rechenschaft ziehen“, sagt Elsie Blackshaw-Crosby von der NGO Lifescape Project.
Das Überprüfungsverfahren wurde von ROBIN WOOD (Deutschland), Save Estonia's Forests (Estland), Clean Air Committee (Niederlande), Workshop for All Beings (Polen), ZERO (Portugal), 2Celsius (Rumänien) und Protect the Forest (Schweden) eingereicht. Zwei Anwaltsteams, Clementine Baldon von Baldon Advocats und Peter Lockley und Ben Mitchell von 11KBW, führen den Fall an. Sie haben dabei rechtliche und wissenschaftliche Unterstützung durch das Lifescape Project und die Organisation Partnership for Policy Integrity (PFPI).
Weitere 50 NGOs unterzeichneten zudem einen offenen Brief an die EU-Kommission, in dem sie ihre Unterstützung für die Überprüfung und Anfechtung erklärten.
Der NGO-Antrag auf Überprüfung der Kriterien für Forstwirtschaft und Bioenergie leitet ein verbindliches Verfahren ein, durch das die administrativen Kriterien angefochten werden können. Sollte sich die EU-Kommission weigern, die verlangte Überprüfung vorzunehmen, werden die NGOs Klage vor dem Gerichtshof der EU (EuGH) erheben. Es wäre dann eine der ersten Umwelt-NGO-Klagen, die nach der kürzlich geänderten Aarhus-Verordnung nach diesem Verfahren eingereicht wird.
Um forstwirtschaftliche Aktivitäten als „nachhaltig“ und als Beitrag zum Klimaschutz zu bezeichnen, verlangen die Taxonomie-Kriterien lediglich eine geringfügige Verringerung der Kohlenstoffverluste im Vergleich zum „business as usual“-Szenario. Für die Biomasse-Energie sind die Taxonomie-Kriterien nahezu identisch mit den höchst umstrittenen Nachhaltigkeitskriterien der 2018 neu gefassten EU-Richtlinie für erneuerbare Energien (RED II) – Kriterien, die von der EU-Kommission selbst als unzureichend eingestuft wurden und deren Änderungen sie im Juli 2021 vorgeschlagen hatte.
Anwältin Clementine Baldon sagt: „Die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Kommission warnen seit Jahren davor, dass die so genannten ‚Nachhaltigkeitskriterien‘ für die Verbrennung von Waldholz der Waldzerstörung und dem Anstieg der Treibhausgasemissionen Vorschub leisten. Die Taxonomie-Bioenergie-Kriterien erfüllen die grundlegende Anforderung nicht, wissenschaftlich fundiert zu sein und tatsächlich zum Klimaschutz beizutragen. Deshalb fechten wir sie als illegal an.“
Jonathan Schultz, ROBIN WOOD-Vorstandssprecher, sagt: „Wir halten die Ausgestaltung der Taxonomie für grob irreführend und lehnen das Greenwashing umwelt- und klimaschädlicher Energie ab, sowohl von Atomkraft und Gas als auch von Holzbiomasse. Die EU-Kommission muss ihr Vorgehen korrigieren.“
Jana Ballenthien, ROBIN WOOD-Waldreferentin ergänzt: „Es besteht die Gefahr, dass auch Deutschland in das Big Business der industriellen Holzverbrennung einsteigt – mit fatalen Folgen für Klimaschutz und Artenvielfalt. ROBIN WOOD hält es für aussichtsreich, in diesem Punkt eine Änderung der Ausgestaltung der Taxonomie zu erzielen und unterstützt daher die rechtliche Überprüfung.“
Das Verfeuern von Holz in industriellem Maßstab ist nicht nachhaltig, da Bäume viele Jahrzehnte brauchen, um das durch die Verbrennung der Holzbiomasse freigesetzte Kohlendioxid wieder zu binden. Wird das Holz – wie in den Hauptexportländern üblich – in Kahlschlagpraxis in alten, wertvollen Wäldern geerntet, dauert es Jahrhunderte bis das ursprünglich intakte Ökosystem Wald erneut entsteht. Das verursacht Probleme fürs Klima und für die Artenvielfalt.
Die NGO-Beschwerde zeigt inhaltliche und verfahrenstechnische Probleme mit dem delegierten Rechtsakt auf – darunter:
- Das Versäumnis, die Regeln auf Wissenschaft und schlüssige Beweise zu stützen: Gemäß Artikel 19 der Taxonomie-Verordnung müssen die Kriterien wissenschaftlich fundiert sein. Der delegierte Rechtsakt der Kommission übergeht dies nicht nur, sondern steht auch in direktem Widerspruch zu Empfehlungen der kommissionseigenen Beratungs- und Expert*innengruppen wie des Joint Research Center (JRC).
- Versäumnisse beim Klimaschutz: Artikel 10 besagt, dass Aktivitäten als „wesentlicher Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels“ gelten, wenn sie zur Stabilisierung des Treibhausgasniveaus beitragen, indem sie Emissionen verringern oder die Aufnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre erhöhen. Weder die Kriterien für die Forstwirtschaft noch für die Bioenergie verlangen aber, dass Projekte diesen Standard tatsächlich erfüllen.
- Nichtvermeidung erheblicher Schäden: Gemäß Taxonomie-Verordnung müssen die Kriterien angeben, wie durch die Tätigkeiten erhebliche Schäden vermieden werden können (Artikel 17 der Verordnung). Die Beschwerde benennt zahlreiche Punkte, wie der delegierte Rechtsakt diesen Auftrag verletzt, z. B. durch den unzureichenden Schutz der verbliebenen Reste noch unberührter Wälder und die fehlende Begrenzung der Luftschadstoffemissionen.
Für Rückfragen:
ROBIN WOOD:
- Jana Ballenthien, Waldreferentin, Tel. +49 40 380 892 11, wald [at] robinwood.de
- Ute Bertrand, Pressesprecherin, Tel. +49 171 835 95 15, presse [at] robinwood.de
Partnership for Policy Integrity (US East Coast timezone):
- Joel Wool, jwool [at] pfpi.net, mobile +1 978 697 0361
- Mary Booth, mbooth [at] pfpi.net, WhatsApp +1 413 404 6324
Lifescape Project (UK timezone):
-
Elsie Blackshaw-Crosby, elsie.blackshaw [at] lifescapeproject.org, mobile +44 7510086851